Mittwoch, 26. September 2007

Halo 3

Für Familienminister, Jugendschützer und Moralapostel bundesweit muss gestern ein furchteinflößender Tag gewesen sein. Ein Killerspiel erreichte am Verkaufsstart mehr Menschen als irgendein Hollywood Blockbuster vor ihm. Halo 3, nach Definition von Günther Beckstein, unbestreitbar ein Amoklauf-Simulator bei dem "Menschen geschlachtet werden", "man mit Handgranaten auf Leute wirft", der "die Hemmschwelle gegen Gewalt" herabsetzt und eine "abstumpfende und gewaltfördernde Wirkung hat" fand allein in den USA innerhalb von acht Stunden 1,8 Millionen Abnehmer und brachte am ersten Tag über $190 Millionen in die Kassen. Ein neue absolute Bestmarke für alle Unterhaltungsmedien.

Der Rekordhalter für das beste Eröffnungs-Wochende in der Filmindustrie hält übrigens Spiderman 3. Wie das Schicksal so spielt Vorzeigevertreter einer anderen Erfolgsgeschichte. Nämlich der von Comics. Vor zwanzig Jahren für die Verdummung der Jugend beschuldigt, als Pac-Man und Donkey Kong noch unter dem Radar der Sittenwächter flogen, und heute feiert das Feuilleton Peter Parker als die sympathische Geschichte eines ewigen Verlierers zwischen Verantwortung und Macht und adelt Stan Lee zu Literatur. Ein weiter Weg, dabei steht den Kulturkritikern das Beste, das Comics schriftstellerisch hervorgebracht haben, noch bevor.

Videospiele legten ihren Weg von Underground und pubertärer Trivialunterhaltung zu Massenphänomen rasanter zurück als Film oder Comics vor ihnen. Zu rasant für unsere älteren Mitbürger in verantwortungsvollen Positionen, die noch nicht mitgekriegt haben, dass Microsoft, Nintendo und Sony die Paramounts, 20th Century Fox und Dreamworks von Morgen sind. Deutsche Filmproduzenten, die in einem Ausnahmejahr ein paar hundert Tausend Zuschauer in die Kinos bringen, werden mit Staatsgeldern verlustreich gefördert, während ein international erfolgreiches und in seiner Branche wegweisendes Unternehmen wie Crytek das weltweit millionenfach Kunden begeistert mit Verboten aus dem Land geekelt wird. Für jemanden wie Beckstein, der Killerspiele mit Kinderpornographie gleichsetzt, muss der Erfolg von Halo 3 wie ein Schock kommen. So lächerlich wie Verbote sind, so muss man sich doch fast wundern, wenn Beckstein tatsächlich Killerspiele so gefährlich einschätzt wie Kinderpornographie, warum er dann nicht zu noch extremeren Maßnahmen greift. Wenn sich ein Kinderporno innerhalb von vierundzwanzig Stunden zwei Millionen Mal verkauft und die Premiere von Filmstars auf rotem Teppich gefeiert wird, jede Wette, dass ich dann vor blinder Panik durchdrehen würde! Halo 3, das heute in Deutschland in die Läden kommt, sollte Beckstein und Konsorten die Scheiße in die Schlüpper und die Pisse in die Augen treiben und sie vor Angst in die Bunker stürmen lassen, als hätte Bin Laden gerade einen Terroranschlag angekündigt, wenn sie den Müll, den sie von sich geben, wirklich Wort für Wort glauben.

Also, was ist nur mit all diesen Menschen los, fragen sich besorgte Köpfe ohne Ahnung von der befremdlichen neuen Welt der interaktiven Unterhaltung. Warum kaufen so viele Leute Halo 3? Was stimmt mit denen nicht?

Das ist eine berechtigte Frage. Schließlich ist das Ausmaß des Phänomens Halo 3 nicht mit der Qualität des Produkts zu rechtfertigen. Halo 3 gehört zu den überbewertesten Spielen aller Zeiten (nicht das gleiche wie "das am meisten überhypte", der Titel geht für ewig an Black & White). Es ist ein sauber umgesetzter Shooter, mit einer überdurchschnittlich guten Hintergrundgeschichte, für deren vollen Genuss man allerdings die zahlreichen nebenbei veröffentlichten Romane kaufen muss, weil das Spiel selbst herzlich wenig erzählt, und einem kritisiertem Einzelspielererlebnis, so dass sich die Beliebtheit nur durch den guten Mehrspielermodus erklärt. Es ist nicht, wie gerne von Fans in Anspruch genommen, das erste Ballerspiel auf Konsole, das Multiplayer richtig hinkriegt, und die Idee von einem Menschen in Kampfrüstung der ballernd durch die Gegend rennt ist lange vor Halo 1 besser umgesetzt worden und wird in Zukunft auch nach Halo 3 noch besser umgesetzt worden. Halos Ausnahmestellung in der Videospielgeschichte fußt nicht auf Gameplay-Innovation sondern auf Marketing-Dollars. Flood Coca Cola hin, Meisterkoch Werbefeldzug her, mit Halo hat Microsoft, als Computerfirma, erstmals ein Unterhaltungs-Franchise in der Hand, das mehr Geld umsetzt als die besten Pferde in den Ställen von Filmstudios.

Das ist eine vernünftige Erklärung, warum Halo 3 sich so gut verkauft, aber keine Antwort auf die Frage der Killerspiel-Advokaten. Die wollen nämlich wissen, wann Mordlust ein Spiel wurde.

Angesichts einer mehr als 8 Millionen Köpfe starken Halo-Fangemeinde müssen sie sich die Frage stellen: Warum gibt es so viele virtuelle Mörder? Und dafür gibt es keine rationale Antwort weil es keine rationale Frage ist. Ihnen bleibt seit gestern nichts anderes übrig als die weiße Fahne zu schwenken, sich im Keller einzuschließen und auf das Ende der Zivilisation zu warten wenn Killerspieler die toten Stadtwüsten wie Zombies durchstreifen und Bill Gates die Welt regiert.

Für den Rest von uns war gestern ein ganz normaler Dienstag.