Mittwoch, 18. November 2009

Neuigkeiten von der politischen Heimatfront

Bisher hatte ich exakt eine vorgefertigte Meinung zu Sigmar Gabriel, nämlich dass er aussieht als hätte ein Gen-Labor versucht die rot-grüne Regierung wiederzubeleben, indem man aus den besten Eigenschaften von Gerhard Schröder und den besten Eigenschaften von Joschka Fischer einen Superpolitiker klonte, und nachdem dieser dann aus dem Verkehr gezogen werden musste, weil er sich für die eigene Kriegspolitik mit Steinen bewarf, haben die Wissenschaftler dann aus den Abfallresten als Notlösung Sigmar Gabriel geformt. Deswegen sieht er heute aus wie Joschkas Moppel-Ich, dem man Schröders schwarz getönten Fifi aufs Haupt gesetzt hat.

Ist aber alles egal, wenn der pausbäckige Erzengel weiter seine Zunge wie ein Flammenschwert führt.
In NRW findet im Mai 2010 eine kleine Bundestagswahl statt. Mit welcher Machtperspektive tritt die SPD an?

Es geht darum, Rüttgers abzulösen und Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin zu machen. Rüttgers spielt zu Hause den Arbeiterführer und redet über Bildung. Und in Berlin stimmt er Steuersenkungen zu, die dazu führen, dass in NRW das Geld für Bildung fehlen wird. Er ist verantwortlich dafür, dass Schwarz-Gelb eine Politik gegen das Gemeinwohl macht. Wer diese unerträgliche Doppelzüngigkeit beenden will, kann nur eine Partei wählen: die SPD.

Das würden Linkspartei und Grüne für sich auch in Anspruch nehmen.

Für die Linkspartei in NRW hat Oskar Lafontaine bereits erklärt, dass sie nicht regieren will. Jede Stimme für die Linken ist damit eine Stimme für Rüttgers. Und bei den Grünen weiß man seit dem Saarland, dass sie mit der CDU, also mit der Partei, die sich für den Ausbau der Atomenergie stark macht, regieren wird, wenn die SPD nicht stark genug für Rot-Grün wird.

Rot-Rot-Grün ist keine Alternative in Düsseldorf?

Für mich gibt es keinen Grund, Koalitionen mit der Linkspartei prinzipiell auszuschließen. Aber es gibt auch keinen Grund, sie prinzipiell zu schließen. Für NRW stellt sich diese Frage nicht. Schon wegen Lafontaines Festlegung. Er sagt selbst, dass die Linkspartei in NRW gegenwärtig nicht regierungsfähig ist. Für NRW gilt: Wer die Doppelzüngigkeit von Rüttgers nicht will, hat nur eine Chance: Er muss SPD wählen.
Egal wie man's dreht und wendet, das ist ein ziemlich windschnittiges Stück Meinungsmache.

Dienstag, 17. November 2009

Ein Nachtrag zur gestrigen rasch hingekritzelten Bauchreaktion

Man verwies mich auf eine zweite Call of Duty: Modern Warfare 2 Besprechung in der hohen Presse. Der New York Times Redakteur ergießt sich wie sein Kollege von Slate in einen blubbernden Schwall undurchdachter Lobpreisungen, schafft es aber nebenbei und wahrscheinlich aus einem Versehen heraus ein paar der von Slate blankgelassenen Leerstellen zu füllen.

Das Wichtigste: Wann immer MW2 Ballerspaß zu Gräuel verkehrt (das geschieht nicht so häufig wie Slate den Eindruck erwecken will), erfordert das die ausdrückliche Genehmigung des Spielers. Jegliches Bedenken der eigenen Handlungen geschieht auf freiwilliger Basis.

Zum einen gibt MW2 dem Spieler die Möglichkeit, gewaltkritische Stellen zu überspringen, zum anderen ist dem Spiel der eigene Interessenskonflikt zwischen Gewalt, die unterhalten, und Gewalt, die schockieren soll, nicht geheuer, was es zu kompensieren versucht (und dadurch bloß die eigene Doppelzüngigkeit verschärft), indem es gerade in der Sequenz, in der der Horror des wirklichen Krieges in die Fantasiewelt am vernichtendsten einbricht, die schlimmsten Schauer der Realität ausblendet.

But even though you don’t have to kill any civilians, you can’t save them either. If you go through the scene at all, you will watch them mown down, then crawling for their lives before finally being dispatched. It will cause nightmares for some, and I cannot imagine it will be healthy for the mental state of some players who are already unbalanced.

But Infinity Ward clearly pulled many punches it could have thrown in trying to make the scene as realistic as possible. There are no children or obviously elderly people in the terminal and very few women. The thinking seems to be that if you’re going to allow a player to act out killing throngs of helpless civilians, the victims should be almost entirely white middle-aged men.

Um es auf den Punkt zu bringen: Was dem Slate-Redakteur die anfänglich mit Begeisterung ausgeübte Lust am Töten verdarb war einzig und allein die oben beschriebene Terrorismus Sequenz, in der der Spieler an einem Massaker an Zivilisten in einem Flughafen teilnimmt. Und die kann der Spieler mit einem kleinen Knopfdruck ausschalten.

Das heißt im Klartext, der Anspruch, das Genre Kriegsspiel zu unterhöhlen, steht und fällt mit einem einzigem Level in einer siebenstündigen Kampagne, das völlig optional und zum erfolgreichen Abschluss des Spiels nicht erforderlich ist, und ignoriert ferner die Natur von MW2 als Online-Spiel, das seinen happigen Preis, wie der NYT Rezesent eingesteht, nur dank einer auf Langlebigkeit zielenden Online-Komponente rechtfertigt.

Laut Slate und NYT liegt die höchste künstlerische Ambition von Call of Duty: Modern Warfare 2 darin, dass seine fünf Millionen Erstkäufer nach dem Durchspielen der Einzelspielerkampagne ausnahmslos so komplett angewidert von sich selbst sind, dass sie den Controller beiseite legen und die Online-Server niemals auch nur betreten. Jeder darf für sich selbst entscheiden, für wie glaubwürdig er diese These hält.

Montag, 16. November 2009

Die Grenzen von First-Person-Shootern als Objekt von und Vehikel für Kulturkritik?

Slate-Schreiberling Chris Suellentrop ist einer von fünf Millionen Menschen*, die übers Wochenende Call of Duty: Modern Warfare 2 in die Finger kriegten.

The game begins in Afghanistan, where the fighting is terrifying but thrilling. As in the first Modern Warfare, your game-play failures (which usually result in death) provide an opportunity to meditate on a quotation from a famous writer and thinker. These quotes focus overwhelmingly on the futility of revenge and the dangers of excessive nationalism. While there are occasional pro-war quotes, the deck is stacked for the anti-war side, as John Milton, Albert Einstein, and Voltaire do battle with Nathan Hale, Dick Cheney, and Donald Rumsfeld, who is cited for his certainty on the location of Iraq's weapons of mass destruction.

At the beginning of the game, these quotes feel like an inoculation, an attempt to counteract the reprehensible message of the game play. That message: Killing foreigners on behalf of one's country is one hell of a good time. In one early bit, I deeply enjoyed watching a buddy slit the throat of an enemy. But soon the tenor of the game play changes, and, remarkably, it has the courage not to be fun. Modern Warfare 2 is immersive, gripping, gut-wrenching, nerve-wracking, disturbing, and thought-provoking—and, yes, unpleasant. The game's perverse achievement was to make me feel bad about myself while playing it, and that's more feeling than nearly every other video game is able to evoke.

(*zum Vergleich: Roland Emmerichs Spätsommerspektakel '2012' pulverisierte die Filmkonkurrenz mit läppischen 225 Millionen am Eröffnungswochenende weltweit. COD:MW2 schüttete 310 Millionen in die Verkaufskassen, allein am ersten Tag und in Nord Amerika plus Großbritannien. Und jetzt ratet, welche der beiden Unterhaltungsformen auf der ehrenwerten Couch von Wetten Daß Platz nehmen durfte und welche von familienfixierten Sittenwächtern als Gewaltporno für labile junge Männer beäugt wird?)

Als großer Verfechter der Videospielkultur überkommen mich beim Lesen von Passagen wie oben zitierter gemischte Gefühle.

Ein paar spontane Anmerkungen:

1) Der Redakteur hätte jederzeit aufhören können, zu spielen. Das Spiel zwingt dich nicht, aktiver Teilnehmer an seinen Grausamkeiten zu sein. Ein Spiel erfordert, wie jede Geschichte und mehr noch, deine Einwilligung, seine Geschichte zu erzählen. Zuschauer können während eines Kinofilms aufstehen und den Saal verlassen. Den Controller aus der Hand zu legen ist wesentlich schneller getan. "You don't have to do this. You can stop. You can refuse. You can walk away. I didn't." Der Grund dafür wird sein, dass ein Spiel dir gemäß seiner Natur immer eine Motivation gibt, weiterspielen zu wollen. Vielleicht weil es dich doch Gefallen am Töten finden ließ. Vielleicht weil du Gefallen am Töten hast. Und ganz, ganz vielleicht auch weil Töten in einem Videospiel überhaupt nicht wie Töten ist.

2) So toll es ist, dass Videospiele versuchen, erwachsen zu sein, aber wenn ich mir die Schilderung bildlich vor Augen führe: "As part of a group of four men with guns, you walk toward a security line full of civilians at a Russian airport. And then you kill them. I'll admit it—I pulled the trigger. (...) But after an introductory gun burst, I couldn't do it anymore. It was the most powerful emotional experience any video game has ever given me. I don't know that I cried, but I was knocked off balance by emotions that I thought I had tucked away. As the travelers screamed and fled from the indiscriminate slaughter, I strolled through the airport. I didn't fire my weapon anymore, but I watched the three Russian terrorists kill. One of the men shot a passenger as he crawled along the blood-streaked floor and pleaded for his life. And then I started shooting again." Dann fällt mir als unmittelbarer Reflex ein, wie leicht es wäre, die gleiche Szene in einer Fernsehdebatte als Film vorzuführen, um gewaltbeinhaltende Spiele an den Pranger zu stellen und als Killermedium zu verurteilen.

3) Ich habe seit langer Zeit keinen Shooter mehr angefasst. Wenn ich aber in der Laune auf eine Partie virtuelles Räuber & Gendarm Spielen wäre, bin ich nicht vollkommen sicher, dass ich wollte, dass mein entspannentes Fantasierumgeballere das Blutgespritze, und die Sterbensschreie, und den Angstschweiß, und die Qual ernst genug nimmt, um die emotionale Grenze zur Realität zu verwischen und das So-tun-als-ob den Horror des echten Akts erhält.

Das Fazit des Artikels wäre ein ermutigendes Zeichen, dass Spiele im Feuilleton angekommen sind, leider ist es eher ein Beispiel für einen Denker, der das eigene Spielerlebnis ungerechtfertigt zum Allgemeinfall überhebt.
It's a first-person shooter that plays as a tragedy, not a power fantasy. It's the most anti-war war game I've ever played, a murder simulator that won't let you forget the nature of your actions.
Nur wird das Spiel immer noch als Unterhaltungsware verkauft. Tragödien finden kein Publikum von fünf Millionen binnen 24 Stunden. Modern Warfare 2 ist ein als Kriegsspiel vermarketetes Anti-Kriegsspiel, eine Gewaltkritik, die als Gewaltorgie konsumiert wird, und ein Mordsimulator, der das Töten nicht verherrlicht aber es als einzige Option zum Erreichen des Ziels belässt. 'Gewaltorgie' darf übrigens wörtlich genommen werden. Modern Warfare 2 verlangt eine Gruppe von Mitspielern für den vollen Genuss.

Es stellt seine eigenes Anliegen, dich die gewaltsame Natur deiner vorgetäuschten Handlungen nicht verdrängen zu lassen, gegen das Bedürfnis des Spielers, den eigenen langen anstrengenden echten Arbeitstag zu vergessen. Es ist ein Multiplayer-Ballerspiel, aufgebaut auf eine lange Karriere als allabendliche Anlaufstelle für eine Millionengemeinschaft von Online-Spielern, das, wenn es in seinem Ansinnen erfolgreich wäre, den Spieler dazu bringen müsste, das Gewehr und den Controller angeekelt beiseite zu legen und nie wieder anzufassen. Deswegen ist seine zwangsweise zum Scheitern verurteilte Ambition wahlweise die Überinterpretation eines intelektuellen Kulturjournalisten mit zu schwachem Magen, oder eine nett gemeinte aber sich selbst-besiegende Narrerei, im besten Falle, und im schlimmsten Fall ein gefährliches Stück schizophrene Hybris.

Mittwoch, 11. November 2009

Während Familie, Doktor & DFB Würde zeigen, beweisen andere Dummköpfe dass Robert Enke die öffentliche Reaktion auf seine Krankheit zu Recht fürchtete

"Und mich bedrückt auch, dass weder seine Sportskameraden in der Nationalelf noch Trainer noch der Mannschaftsbetreuer der Nationalelf irgendwetwas gemerkt haben, was im Menschen vorgeht, der seine Tochter tragisch mit zwei Jahren verliert durch eine Herzkrankheit, offenbar auch private Probleme daraus hat. Und das spricht dafür, dass selbst in so einem Team, einer Mannschaft, die zusammen stehen sollte, das menschliche vielleicht nicht ganz so ist, wie es sein sollte."
--- Rainer Brüderle

Der erste Satz, der mir durch den Kopf schoss, lautete: Oh, Gott, ich dachte nicht, dass es so ernst ist. Es bestand immer ein Gefühl, aus der Ferne, in den brüchlichen Einblicken in sein Leben, dass unter Robert Enkes glatter Oberflächer Dämen tobten, die man vielleicht eher sieht, wenn man sie von sich selbst wiedererkennt, und über die man, je näher man dem Menschen kommt, und dem Trugspiel das ihm das Überleben bislang überhaupt erst möglich machte, leichter hinweggetäuscht wird.

Die größte Neuigkeit in der Schar sprechender Köpfe, die über den Bildschirm flimmernd ihre Meinung äußern, liegt darin, dass ganz plötzlich offensichtlich wird, welche Menschen wissen, was Depression bedeutet, und wie viele die Krankheit nicht verstehen. Rainer Brüderle gehört eindeutig zu denen, die nichts kapieren.

Im meinem letzten Blog-Eintrag war Stephen Fry zu Gast und ich gebe ihm wieder das Wort. Vor einigen Jahren drehte er für die BBC eine Dokumentation, die in Großbritannien eine öffentliche Diskussion auslöste, die auch Deutschland an dieser Stelle gesunden würde: The Secret Life of a Manic-Depressive.

Dienstag, 10. November 2009

1876 zu 268

Das ist das Ergebnis einer britischen Fernsehdebatte zur Frage "Ist die Katholische Kirche ein positiver Einfluss auf die Welt". Die vierstellige Zahl, falls das unklar sein sollte, sind die Nein-Stimmen.

Es war ein wenig unfair. Die Kirche hatte als Fürsprecher eine schwafelnde Politikerin und einen weichgespülten Bischof. Die Anti-Katholische Seite hatte Christopher Hitchens und Stephen Fry. Man schickt nicht Englands meist geliebten Homosexuellen, feiner Gebieter der Sprache und Schwertführer tödlicher Einsichten der er nebenbei ist, und einen der besten und sicherlich hochbezahltesten Polemiker des gesamten englischen Sprachraums gegen drittklassige Gegner in den Kampf und erwartet als Ergebnis etwas anderes als ein einseitiges Gemetzel. Das ist wie ein Team von Superman und Batman gegen die Panzerknacker. Ein Fußballspiel Spanien gegen San Marino. Brock Lesnar gegen Regina Halmich. Als hätte jemand gesagt: Lasst uns mal wieder ein paar Christen gegen Löwen in die Arena schicken, aber mit noch viel mehr Erniedrigung und nur ein ganz klein bisschen weniger Blutgespritze.



Frys Stellungnahme, inklusive eines glänzenden Vergleichs der katholischen Sexbessenheit zum Verhältnis von Essgestörten zu Nahrung, beginnt ab 1:30.

Mittwoch, 4. November 2009

Wie Mitleid, nicht Sensationssucht, uns zu Gaffern macht

Sogar in der, nach den Maßstaben meines eigenen Lebens gemessen, beschissenesten Woche seit langer Zeit kommt, wie scheinbar zu allen beschissenen Zeiten, der unvermeidliche Zeigefinger, dass es viel schlimmer sein könnte, wie etwa in Form eines Fußgängers, der von einem Auto überfahren wird, während du in der Straßenbahn sitzt und hilflos bist, etwas zu unternehmen außer das Handy zu zücken, was glücklicherweise viele mehr taten, so dass als ich eine Station später an meiner Haltestelle ausstieg und nach Hause lief hinter mir die Sirenen schrillten.

Und ich kenne die Stelle, an der der leblose Leib auf das Asphalt klatschte (den Zusammenstoß sah ich nicht, es war das Geräusch das meinen Blick herum riss). Ich bin dort über die Kreuzung gegangen. Mir sind dort zweimal, bei grünem Licht, Autos in vollem Tempo an der Nasenspitze vorbei gerast gerade als ich dabei war, den Fuß auf das Straßenpflaster zu setzen. In dieser Stadt wirst du überfahren wenn du über die Straße gehst nur weil die Ampel zufällig Grün zeigt.

Es ist ein zwiespältiges Gefühl. Vor heute habe ich die Menschentrauben, die sich um Unfallorte versammeln, nur als Gaffer verstanden. Derzeit bin ich weniger hastig mit dem Urteil. Etwas anderes ist im Spiel. Selbst als die Straßenbahn mich wie unter Zwang von dem überfahrenem Menschen weg trug, kehrten mein Blick und mein ganzer Körper sich immer wieder rückwärts, zutiefst wiederstrebend einen Verletzten zu verlassen, obwohl ich wusste, dass ich ihm nicht helfen konnte, und als wie kämpften in meinem Innersten das Pflichtgefühl einem Mitmenschen - dem Verletzten, seinen Begleitern, den Helfern - Solidärität zu zeigen gegen die Scheu das Leid eines Anderen durch meine Augen der Würde zu entkleiden.