Montag, 16. November 2009

Die Grenzen von First-Person-Shootern als Objekt von und Vehikel für Kulturkritik?

Slate-Schreiberling Chris Suellentrop ist einer von fünf Millionen Menschen*, die übers Wochenende Call of Duty: Modern Warfare 2 in die Finger kriegten.

The game begins in Afghanistan, where the fighting is terrifying but thrilling. As in the first Modern Warfare, your game-play failures (which usually result in death) provide an opportunity to meditate on a quotation from a famous writer and thinker. These quotes focus overwhelmingly on the futility of revenge and the dangers of excessive nationalism. While there are occasional pro-war quotes, the deck is stacked for the anti-war side, as John Milton, Albert Einstein, and Voltaire do battle with Nathan Hale, Dick Cheney, and Donald Rumsfeld, who is cited for his certainty on the location of Iraq's weapons of mass destruction.

At the beginning of the game, these quotes feel like an inoculation, an attempt to counteract the reprehensible message of the game play. That message: Killing foreigners on behalf of one's country is one hell of a good time. In one early bit, I deeply enjoyed watching a buddy slit the throat of an enemy. But soon the tenor of the game play changes, and, remarkably, it has the courage not to be fun. Modern Warfare 2 is immersive, gripping, gut-wrenching, nerve-wracking, disturbing, and thought-provoking—and, yes, unpleasant. The game's perverse achievement was to make me feel bad about myself while playing it, and that's more feeling than nearly every other video game is able to evoke.

(*zum Vergleich: Roland Emmerichs Spätsommerspektakel '2012' pulverisierte die Filmkonkurrenz mit läppischen 225 Millionen am Eröffnungswochenende weltweit. COD:MW2 schüttete 310 Millionen in die Verkaufskassen, allein am ersten Tag und in Nord Amerika plus Großbritannien. Und jetzt ratet, welche der beiden Unterhaltungsformen auf der ehrenwerten Couch von Wetten Daß Platz nehmen durfte und welche von familienfixierten Sittenwächtern als Gewaltporno für labile junge Männer beäugt wird?)

Als großer Verfechter der Videospielkultur überkommen mich beim Lesen von Passagen wie oben zitierter gemischte Gefühle.

Ein paar spontane Anmerkungen:

1) Der Redakteur hätte jederzeit aufhören können, zu spielen. Das Spiel zwingt dich nicht, aktiver Teilnehmer an seinen Grausamkeiten zu sein. Ein Spiel erfordert, wie jede Geschichte und mehr noch, deine Einwilligung, seine Geschichte zu erzählen. Zuschauer können während eines Kinofilms aufstehen und den Saal verlassen. Den Controller aus der Hand zu legen ist wesentlich schneller getan. "You don't have to do this. You can stop. You can refuse. You can walk away. I didn't." Der Grund dafür wird sein, dass ein Spiel dir gemäß seiner Natur immer eine Motivation gibt, weiterspielen zu wollen. Vielleicht weil es dich doch Gefallen am Töten finden ließ. Vielleicht weil du Gefallen am Töten hast. Und ganz, ganz vielleicht auch weil Töten in einem Videospiel überhaupt nicht wie Töten ist.

2) So toll es ist, dass Videospiele versuchen, erwachsen zu sein, aber wenn ich mir die Schilderung bildlich vor Augen führe: "As part of a group of four men with guns, you walk toward a security line full of civilians at a Russian airport. And then you kill them. I'll admit it—I pulled the trigger. (...) But after an introductory gun burst, I couldn't do it anymore. It was the most powerful emotional experience any video game has ever given me. I don't know that I cried, but I was knocked off balance by emotions that I thought I had tucked away. As the travelers screamed and fled from the indiscriminate slaughter, I strolled through the airport. I didn't fire my weapon anymore, but I watched the three Russian terrorists kill. One of the men shot a passenger as he crawled along the blood-streaked floor and pleaded for his life. And then I started shooting again." Dann fällt mir als unmittelbarer Reflex ein, wie leicht es wäre, die gleiche Szene in einer Fernsehdebatte als Film vorzuführen, um gewaltbeinhaltende Spiele an den Pranger zu stellen und als Killermedium zu verurteilen.

3) Ich habe seit langer Zeit keinen Shooter mehr angefasst. Wenn ich aber in der Laune auf eine Partie virtuelles Räuber & Gendarm Spielen wäre, bin ich nicht vollkommen sicher, dass ich wollte, dass mein entspannentes Fantasierumgeballere das Blutgespritze, und die Sterbensschreie, und den Angstschweiß, und die Qual ernst genug nimmt, um die emotionale Grenze zur Realität zu verwischen und das So-tun-als-ob den Horror des echten Akts erhält.

Das Fazit des Artikels wäre ein ermutigendes Zeichen, dass Spiele im Feuilleton angekommen sind, leider ist es eher ein Beispiel für einen Denker, der das eigene Spielerlebnis ungerechtfertigt zum Allgemeinfall überhebt.
It's a first-person shooter that plays as a tragedy, not a power fantasy. It's the most anti-war war game I've ever played, a murder simulator that won't let you forget the nature of your actions.
Nur wird das Spiel immer noch als Unterhaltungsware verkauft. Tragödien finden kein Publikum von fünf Millionen binnen 24 Stunden. Modern Warfare 2 ist ein als Kriegsspiel vermarketetes Anti-Kriegsspiel, eine Gewaltkritik, die als Gewaltorgie konsumiert wird, und ein Mordsimulator, der das Töten nicht verherrlicht aber es als einzige Option zum Erreichen des Ziels belässt. 'Gewaltorgie' darf übrigens wörtlich genommen werden. Modern Warfare 2 verlangt eine Gruppe von Mitspielern für den vollen Genuss.

Es stellt seine eigenes Anliegen, dich die gewaltsame Natur deiner vorgetäuschten Handlungen nicht verdrängen zu lassen, gegen das Bedürfnis des Spielers, den eigenen langen anstrengenden echten Arbeitstag zu vergessen. Es ist ein Multiplayer-Ballerspiel, aufgebaut auf eine lange Karriere als allabendliche Anlaufstelle für eine Millionengemeinschaft von Online-Spielern, das, wenn es in seinem Ansinnen erfolgreich wäre, den Spieler dazu bringen müsste, das Gewehr und den Controller angeekelt beiseite zu legen und nie wieder anzufassen. Deswegen ist seine zwangsweise zum Scheitern verurteilte Ambition wahlweise die Überinterpretation eines intelektuellen Kulturjournalisten mit zu schwachem Magen, oder eine nett gemeinte aber sich selbst-besiegende Narrerei, im besten Falle, und im schlimmsten Fall ein gefährliches Stück schizophrene Hybris.