Samstag, 30. August 2008

Barack Obama ist nicht der Mann für den die Rechten ihn halten - oder die Linken.

Okay, in aller Kürze was es bedeutet, dass Obama als seinen VP Biden wählt verglichen mit McCain der Sarah Palin zum VP ernennt:

Obama traf seine Entscheidung, um bestmöglich zu regieren - McCain, um die Wahl zu gewinnen.

Ein Mann plant auf lange Sicht, will alle Voraussetzungen schaffen, um seine Pflichten ideal zu erfüllen, wenn er im Amt ist. Der Andere will einfach ins Amt. Stärker als Obamas eigene VP-Entscheidung unterstreicht McCains Wahl, welcher Kandidat der ernsthafte, nachdenkliche, verantwortungsbewusste Entscheidungsträger ist.

Und jetzt in aller Länge warum die letzte Aussage viele überraschen wird, die in der Berichterstattung über den nächsten Präsidenten der USA auf die deutsche Presse vertrauen. Eine Zeitungsstimme, die mir erst kürzlich unter die Nase flatterte, beging den Fehler, der so typisch ist, Obama als medienwirksamen Glamour-Kopf und politische Hohlbirne darzustellen, und sie beging den Fehler mit einer großen Dosis mehr beleidigender Uninformtheit als die üblichen fluffigen Kommentare, die in ihrer eingebildeten Schwafelei exakt die Oberflächlichkeit zelebrieren, die sie Obama ankreiden.

Ich habe den Artikel und die Autorin schon während des Lesens aus dem Gedächtnis verbannt, ich bitte also um Entschuldigung, dass ich ihn nicht wiederfinde. Dieser Artikel soll als Ersatz herhalten. Über Obama:
Derzeit wird er nicht müde zu betonen, wie stolz er auf Amerika ist. Wie sehr er die Soldaten im Irak bewundert. Beim Thema Georgien hat sein republikanischer Rivale ihn vor sich hergetrieben, und Obama ersetzte differenzierte Äußerungen durch kämpferische Plattitüden. Außerdem tritt er inzwischen für privaten Waffenbesitz ein, auch für die Todesstrafe, und er fand es offenbar richtig, sich einem öffentlichen Vergleich mit John McCain zum Thema Glaubensfragen auszusetzen. Zur Hölle mit der Trennung von Kirche und Staat.
Frau Gaus benutzt das Wort Inzwischen als deute es auf eine veränderte Situation verglichen mit einem früheren Zeitpunkt hin. Was es tut. Leider ist es in diesem Fall unzutreffend. Eingeschränkte Zugeständnisse an Waffenbesitzer, die Todesstrafe als Option, und ein offener Dialog über Glauben und Religion sind - zum Guten oder zum Schlechten - spätestens seit der Senatswahl Teil von Obamas Plattform, wie ein auch nur halb aufmerksamer Leser seines Buches The Audacity of Hope weiß. Selbst der leibliche Klon der besten Gene aus John F. Kennedy, Martin Luther King und Jesus Christus würde es in den Vereinigten Staaten nicht zum Präsidenten schaffen ohne seine Liebe zum Land zu bezeugen und den Einsatz der Soldaten zu würdigen. Was glaubt Frau Gause bedeutet Obamas Botschaft, er wolle anders sein als andere Politiker? Dass er anfangen wird amerikanische Flaggen zu verbrennen und auf verkrüppelte Kriegsveteranen zu spucken? Das wäre eindeutig unverbraucht und mutig. Dann wäre er nicht der Kandidat der Mitte sondern der Mittelbeminderten.

Die ideologische Mitte der USA liegt weiter rechts als in Deutschland - so stark kann der Rechtsruck der SPD gar nicht sein, um das aufzuholen. Die US-Demokraten sind nicht erotischere Sozialdemokraten, eher noch CSU'ler mit mehr Populismus. Deutsche, die zu Tausenden nach Berlin pilgern um an der Siegessäule zu Füßen Obamas zu huldigen, erliegen einer Illusion, derer Obama selbst sich nicht scheuen wird sie zu berauben. Das größere Missverständniss jedoch ist das der intellektuellen Linken in Deutschland, die - Ironie ick' hör dir kichern - die Propaganda der amerikanischen Rechten von Obama as the most liberal senator schlucken wie ein Fisch den Wurm am Haken. Die wiederkehrende Kritik, Obama sei Schall und Rauch, ist ein direktes Echo der talking points der McCain Kampagne. Bei Gause taucht sie in dieser Form auf:
Eine hübsche Melodie - aber mehr auch nicht.
Das Mehr, das hier gesucht wird, findet man bei einem schnellen Besuch auf Obamas Webseite. Obama hat eine Menge Stil an der Oberfläche, aber darunter steckt Substanz, die für Journalisten zu entdecken ist, wenn man danach gräbt. Wie die NY Times beweist. Schaufeln gehört zum Handwerk. Für manche ist es wohl schon Recherche, mit dem Fingernagel am Lack zu kratzen. Lange nicht. Unter den Fingernägeln muss Dreck stecken, wenn sie auf die Tastatur hämmern.

David Leonhardt lässt keine Zweifel welcher POTUS Kandidat mehr Fleisch auf dem Knochen zu bieten hat:
John McCain’s economic vision, as he has laid it out during the campaign, amounts to a slightly altered version of Republican orthodoxy, with tax cuts at the core. Obama, on the other hand, has more-detailed proposals but a less obvious ideology.
Andere ausgewählte Zitate.

Über Obamas Reality-based approach.
As anyone who has spent time with Obama knows, he likes experts, and his choice of advisers stems in part from his interest in empirical research. (James Heckman, a Nobel laureate who critiqued the campaign’s education plan at Goolsbee’s request, said, “I’ve never worked with a campaign that was more interested in what the research shows.”) By surrounding himself with economists, however, Obama was also making a decision with ideological consequences. Far more than many other policy advisers, economists believe in the power of markets. What tends to distinguish Democratic economists is that they set out to uncover imperfections of the market and then come up with incremental, market-based solutions to these imperfections. This helps explain the Obama campaign’s interest in behavioral economics, a relatively new field that has pointed out many ways in which people make irrational, short-term decisions. To deal with one example of such myopia, Obama would require companies to automatically set aside a portion of their workers’ salary in a 401(k) plan. Any worker could override the decision — and save nothing at all or save even more — but the default would be to save.
Seine Lernfähigkeit und Priorität, Eigeninteressen aus politischen Entscheidungen herauszuhalten.
The trick for someone trying to replicate Virginia’s success is figuring out which investments to make. As any Chicago School economist would remind you, the federal government has made its share of mistakes in this area, a recent example being subsidies for ethanol, which Obama, a farm-state senator, has championed and McCain has opposed. But Obama at least seems to have learned one lesson from the experience: His proposed new infrastructure spending would be overseen by a bipartisan board of unelected officials, rather than members of Congress.
Der Artikel ist eine Analyse von Obamas Wirtschaftsplan, aber er steht exemplarisch für Obamas Führungsstil in vielen Fragen: Zwei widerstreitende und entgegengesetzte Philosophien anzuerkennen, und versuchen, aus beiden die besten Teile zu destillieren um daraus einen Plan zu synästhesieren, der funktioniert. Zielgerichteter Pragmatismus vor blindem Ideologismus.

Das führt zu solchen Aussagen:
Depending on how you look at it, he is both more left-wing and more right-wing than many people realize.
Der kleinstmögliche Aufwand, den Frau Gause hätte betreiben müssen, ist nicht einmal einen 8-seitigen Artikel der NYT zu lesen. Sie hätte den Kanidaten nur bei seinem eigenen Wort nehmen müssen.
“My core economic theory is pragmatism,” he said, “figuring out what works.”
Was braucht man, um politische Korrespondentin der TAZ zu werden? Bettina Gauses Frage an Obama "Was genau hat er auf dem Parteitag in Denver gesagt?" schreit nach einer Gegenfrage: Was genau hat Bettina Gaus erwartet? Legen Präsidentschaftskandidaten bei ihrer Wahlannahme-Erklärung gewöhnlicherweise ein konkretes Programm vor? Nein. Dafür halten Präsidentschaftskandidaten ganz eigene Reden, speziell zu einem Thema, vor interessiertem Fachpublikum, und die Texte diverser solcher Reden sind frei online zugänglich. Obamas Rede hat die Zielsetzung seiner Regierung konkreter abgesteckt als die meisten Kandidaten. Amerikanischen Kommentatoren fiel vor allem auf, dass auf dem großen Klavier der Emotionen, das Obama zum Star bombardierte, nur sehr leise und verhaltene Töne gespielt wurden.

Andrew Sullivan fasst es stellvertretend für viele Stimmen zusammen:
What he didn't do was give an airy, abstract, dreamy confection of rhetoric. The McCain campaign set Obama up as a celebrity airhead, a Paris Hilton of wealth and elitism. And he let them portray him that way, and let them over-reach, and let them punch him again and again ... and then he turned around and destroyed them. If the Rove Republicans thought they were playing with a patsy, they just got a reality check.

He took every assault on him and turned them around. He showed not just that he understood the experience of many middle class Americans, but that he understood how the Republicans have succeeded in smearing him. And he didn't shrink from the personal charges; he rebutted them. Whoever else this was, it was not Adlai Stevenson. It was not Jimmy Carter. And it was less afraid and less calculating than Bill Clinton.
Hierin liegt die Brillianz von Obamas Rethorik. Er lässt die Republikaner sich verausgaben und mit den Boxhandschuhen nach leerer Luft schlagen, weil er selbst schon längst woanders ist. Er ist den Angreifern einen Seitenschritt voraus, aus dem Weg getreten ehe die Faust heranfliegt. Und dann wird das Pappbild, das die Republikaner von Obama errichtet haben, unter ihren Fäusten zu Scheiße und sie stehen stinkend, mit Kacke an den Händen, da und Obama lächelt ohne einen einzigen eigenen Schlag gelandet zu haben. Dieser dürre Junge aus Chicago mit dem ulkigen Namen ist gefährlicher als er aussieht. Nimm dich vor ihm in Acht, oder er schiebt dir die Messerklinge zwischen die Schulterblätter ohne dass ein Bluttropfen seine blendend weißen Handschuhe versehrt. Hillary Clinton unterschätzte Obama und bezahlte den Preis. McCain unterschätzt Obama trotz der Warnung und Vertreter der deutschen Presse erliegen dem gleichen Fehler.