Samstag, 25. August 2007

China, Tibet, Irak, Vietnam und andere verlorenen und gefundene Seelen

Die Meldungen der letzten Woche boten genug Futter, um sie über Monate zu strecken, doch ich werde sie in einem einzigem Eintrag abarbeiten. Meine Lieblingsjuwelen des Tages!

In der Schlacht darum, welche Ideologien blöder sind, politische oder religiöse, wurde im fernen Osten eine neue Front eröffnet: China verbietet buddhistischen Mönchen zu reinkarnieren sofern sie nicht die ausdrückliche Erlaubnis der Regierung besitzen.

Ja, richtig gehört. Wenn China gerade mal nicht damit beschäftigt ist, Kinder zu vergiften, uns als Fahrzeuge getarnte mobile Todesfallen zu verkaufen, oder Autos von Pekings Straßen zu verbannen (nicht weil die Autos Menschen umbringen, sondern weil rechtzeitig zu den olympischen Spielen der Himmel sichtbar sein soll), machen sie totalitär tolle Sachen, die keinem anderen Land der Welt einfallen würden, wie zum Beispiel den Prozess der Wiedergeburt gesetzlich zu regeln.

Zugegeben, da haben sie eine Gesetzeslücke entdeckt. Wenn alte buddhistische Ärgermacher, bei denen du froh bist, sie endlich los zu sein, statt in Frieden zu ruhen, in die Körper neuer junger Menschen wiedergeboren werden, möchte man als Regierung gefälligst ein Wörtchen mitreden.

Mein erster Instinkt ist über die chinesische Regierung zu lachen, weil es so weit hergeholt ist. Andererseits, das Konzept Wiedergeburt an sich ist auch schon ziemlich weit her geholt. Es ist eine Meisterleistung in Sachen Architektur des Absurden, dieser Versuch, eine absurde Idee mit einer noch viel absurderen Idee zu regeln. Das muss so ähnlich sein, wie einen zweiten schiefen Turm von Pisa auf die Spitze des ersten schiefen Turms von Pisa zu bauen.

Nur... Bei genauem Hinsehen ist es gar nicht so dumm wie es scheint. Die Handlung der chinesischen Regierung jetzt, nicht buddhistischer Glauben oder gestapelten Pisa-Türmen. Sie wollen nur sicher gehen, dass das nächste politische und geistige Oberhaupt Tibets ihren Segen hat und ihren Befehlen gehorcht. Das ist nicht sehr demokratisch, aber ein vom Volk nicht gewähltes Staatsoberhaupt das religiöse und weltliche Macht in einer Person vereint ist auch nicht ganz im Sinne der Demokratie.

Und schließlich ist die Wiedergeburt für die Mönche genauso sehr ein Politikum zur Machterhaltung, -Sicherung und –Legitimierung wie für China. Ob über die Seelenwiedererkennung nun ein Gremium von Politikern oder eine Versammlung von Mönchen befindet, was ändert das schon? Es geht um das gute alte Tauziehen. Wird die Regierung die Religion kontrollieren oder die Religion die Politik.

Der Dalai Lama ist 72 Jahre. Menschen in dem Alter treffen gewisse Vorbereitungen. Sie schreiben Testamente, sie beichten Sünden, sie reden öfter mit ihren Kindern als gewöhnlich, sie überlegen sich die Musikauswahl für ihre Beerdigung, und, wenn sie zufällig Kopf einer großen Religion, die an die Wiedergeburt glaubt, sind, machen sie sich über das nächste Leben Gedanken. Der Dalai Lama hat seit 14. Generationen Kontrolle darüber, wo und wie er wiedergeboren wird. Und die momentane Verkörperung des Dalai Lama weigert sich, innerhalb Tibets wiedergeboren zu werden, solange es in chinesischer Hand ist.

Das neue Gesetz verleiht China die Autorität, den nächsten Dalai Lama aus den eigenen Reihen zu wählen. Gleichzeitig wird es damit zu einer sicheren Wette, dass die buddhistischen Mönche die fünfzehnte Inkarnation ihres Dalai Lamas zwangsweise im Ausland suchen und finden werden, höchstwahrscheinlich einem reichen fetten Land wie Amerika.

Auf beiden Seiten geben praktische Gründe den Ausschlag. Das ist nicht anders als es bei der katholischen Konklave. Die Kardinäle sagen zwar „Benedikt wurde von Gott erwählt“, aber was sie meinen ist: „Benedikt war die beste Wahl, weil für die Kirche nach einem so langlebigem Reformator wie JP2 ein dem Tode naher konservativer Greis genau das richtige ist.“

Und deswegen setze ich darauf, dass der nächste Dalai Lama aus dem Westen kommt. Die Leute hier fressen östlicher Philosophie, Mystizismus und Medizin aus der Hand. Das ist ein Wachstumsmarkt für Einfluss den man zementieren muss. Und außerdem würde ein Dalai Lama aus dem eigenem abendländischem Kulturkreis auch in Zukunft den Fluss der Spenden aus Hollywood sichern, das der beste Finanzierer des Widerstandes für ein freies Tibet ist seit die CIA beschlossen hat, dass 1,7$ Millionen pro Jahr um eine Armee von Pazifisten auszurüsten verschwendetes Geld ist.

Von alten Mönchen die als Babys wiedergeboren werden zu einer Branche, die derzeit alles tut, das in ihrer Macht steht, um männliche Jugendliche in junge Frauen und Senioren zu verwandeln ohne dabei direkt zum Mittel der Reinkarnation zu greifen aber es würde, wenn sie könnte: Die Video- und Computerspiele Industrie will weg von verpickelten Teenagern in ihren miefigen Kellern hin zu Mädchen und Familien und Oma und Opa. Das ist der Tenor der Medien in der Berichterstattung zur Games Convention in Leipzig. Normalerweise verstehen die Nachrichtenredaktionen von RTL, ARD und Sat1 (in der Zeitung stand, Sat1 hätte alle ihre Journalisten gefeuert, aber hatte Sat1 je Journalisten???) von der Welt der Computer soviel wie Mügelner Bürger von Zivilcourage. Ich nenne da nur die lächerliche Überschätzung von Second Life, bei dessen bloßer Erwähnung jeder Nachrichtenredakteur scheinbar eine größere Erektion bekommt als ein Furry beim Anblick von Bugs Bunny in Drag, während gleichzeitig World of Warcraft weitestgehend unbemerkt genügend Menschen ansammelt um ein kleines Land zu besetzen. In diesem Fall allerdings haben sie ausnahmsweise Recht. Videospiele sind tatsächlich auf einem Siegesfeldzug heraus aus der Nische als Unterhaltung für große und kleine Kinder hin zur akzeptierten Massenunterhaltung für Alt und Jung jeden Geschlechts. Nintendo hat allein im letzten Monat EINE MILLION neuer Einheiten ihrer Spielekonsolen in die weltweiten Wohnzimmer verkauft. Ich begrüße die Entwicklung und heiße die neuen Spieler als alter Nintendofan und Gameboy der ersten Stunde herzlich willkommen und stelle mich schon einmal geistig auf den Tag ein, an dem wir vom Amoklauf eines Computerspielers hören und die Reporter nicht vom Schulhof sondern aus dem Altersheim berichten. Arme alte Großmutter, du hast einfach zu viel Counterstrike gespielt...

Und die vorletzte Schlagzeile für heute, ebenfalls zum Thema Seelenwanderung und die Zukunft der virtuellen Unterhaltung: Wissenschaftler haben einen Weg gefunden, das Phänomen der außerkörperliche Erfahrungen im Labor unter kontrollierten Bedingungen zu reproduzieren. Wir wissen von Menschen, die im Traum oder unter Betäubung standen oder dem Tod nahe waren, dass sie ein Gefühl beschreiben, ihren Körper zu verlassen und sich von außen zu sehen oder manchmal gar über weite Distanzen wandern um einen entfernten Menschen zu beobachten. Das Experiment erklärt uns bei weitem nicht alles, das wir aus Beschreibungen kennen, aber es ist ein erster Schritt, und eine verdammt coole Erinnerung, was heraus kommen kann, wenn Wissenschaft das Feld des sogenannten Übersinnlichen nicht prinzipiell ignoriert sondern untersucht, was es zu untersuchen gibt.

Zum Abschluss das Beste: Präsident Bush hat eine Hundertachtzig Grad Kehrtwende hingelegt und stimmt nun zu, dass Irak genau so ist wie Vietnam. Nur dass in seinem Vergleich der einzige Fehler in Vietnam der war, den Krieg zu beenden. Man kann hundert Witze darüber machen, aber es ist spät, ich bin müde, und außerdem bricht man allein vom Lesen der Neuigkeit in schallendes Gelächter aus.

Ha ha haaargh.