"Es gibt Qualität im deutschen Fernsehen", dieses Zugeständnis ist Thomas Gottschalk froh, Marcel Reich-Ranicki abzuringen, allerdings nicht ohne Zusatzklausel: "Wenn man danach sucht!"
Wenn man danach sucht, gibt's Qualität freilich überall zu finden. Und wenn man gezwungen ist zu suchen, sucht man besser online. Dort ist es benutzerfreundlicher, dank Suchmaschinen, und hat höhere Aussichten auf Erfolg, denn abseits der, von Gottschalk lamentierten, 17-jährigen, die über Hunde auf Skateboards lachen, nutzen intelligente Erwachsene die Möglichkeiten des Webs um Erstaunliches auf die Beine zu stellen. Das durchaus vorhandene Angebot an hochwertigem Fernsehen ist nicht die Trumpfkarte, für die Gottschalk sie hält. Der Fakt, das auf der Menükarte auch ein Salat angeboten wird, rettet McDonalds nicht gegen den Vorwurf ein Fast Food Restaurant zu sein. Darüberhinaus passt die Entschuldigung nicht zum Vergehen.
Das ganze Dilemma der deutschen Fernsehlandschaft besteht nämlich nicht darin, dass keine Qualität zu finden wäre. Das Dilemma besteht darin, dass Anspruch und Unterhaltung streng voneinander getrennt gehalten werden. Bildungsfernsehen darf keine dummen Witze machen, aus Angst davor, das blaue Adelsblut mit dem des niederen Pöbels zu verwässern, und hirnloser Massenware ist auf Strafe verboten, einen Satz auszusprechen, der aktives Mitdenken erfordert, weil Zuschauer das TV-Gerät abschalten sobald sie das Gehirn einschalten und umgekehrt. Verstößt ein Format gegen eine dieser Regeln wird es abgesetzt ehe die Quoten veröffentlicht sind.
Die Mauer in den Köpfen zwischen Hochkultur und Gossenkultur ist eine typisch deutsche Krankheit. Beispiel Comedy. Da gibt es entweder politisches Kabarett, das vor 40 Besuchern spielt, oder klischee-dreschende Stand-Up Acts, die Fußballstadien füllen. Und dazwischen nur ganz wenige wagemutige Grenzgänger. Ausgerechnet das ignorante Hollywood-Amerika beweist regelmäßig das Gutes rauskommt, wenn man sich traut, Unterhaltung und Intelligenz zu vermischen. Immer daran denken, Shakepeare riss die schlimmsten Zoten über Fürze und Fladen in ganz England.
Es gibt so etwas wie kluge Unterhaltung und zugängliche Bildung. Es fällt schwer, das zu glauben, denn echte, lebende Vertreter dieser Gattungen sind im Fernsehen schwer zu finden. Dafür wird der Bildschirm überschwemmt mit diesen zwei Arten: langweiliges Entertainment und banale Informationen. Die Doppelzüngigkeit der Medienmacher, die mit der einen Hand Schund produzieren und sich mit der anderen Hand auf die Schulter klopfen, wann immer sie es schaffen die kleinste Ladung Qualität am Zuschauer vorbei auf Sendung zu schmuggeln, basiert auf einer einzigen Annahme: Jeder Deutsche zwischen 14 und 49 hat zwischen den Ohren nichts als Grütze und leere Luft.
Das ist der Zynismus von Thomas Gottschalk - Die Leute wollen nur Titten, Witze und Sensationen. Es fällt nicht schwer zu verstehen, wie das quotengesteuerte Fernsehen seine Macher zu Menschenfeinden erzieht.
"Ich hasse die Menschen und was ich mache, das Fernsehen, das Programm, die Zuschauer, ich hasse hasse hasse die Dummheit und die Geilheit und die Gier und die Verlogenheit und alles, das mir erlaubt, den Job zu behalten, für den ich bezahlt werde, und das Leben zu führen, das ich genieße, JA, ich verachte jede einzelne Person, die schuld daran ist, das aus mir geworden ist, was ich bin. Jeden einzelnen Zuschauer, der meine Sendungen guckt. Aber ich liebe Geld und daher werde ich weiterhin genau das gleiche tun wie bisher."
Man kann die selbstverliebten Wehklagen der Schrottproduzenten und Müllmoderatoren förmlich hören. Die Verfechter der flimmernden Hochkultur sind nicht besser. Das demonstrierte das ZDF netterweise durch die Sendung direkt im Anschluss an die Sondersendung zur Medienschelte des Literaturpapstes.
Wir sorgen für Qualität im Fernsehen, verkündete Aspekte. Und machte sich sogleich daran, absolut nichts von Bedeutung von sich zu geben. Ein Beitrag über Amazons Kindle - ein interessantes, würdiges Thema, zu dem Aspekte nur altbekannte, zehnmal vorher und fünfmal besser vorgekaute, hilflos romantische, hoffnungslos vergangenheitsverbundene, hemmungslos unkritische, herausforderungslos beschwichtigende Schwafelei hervorbrachte. Wir bekamen die volle Dosis von allem, warum Bildungsfernsehen völlig zu Recht keine höheren Zuschauerzahlen zieht: Narzisstische Anspielungen die Zeit verschwenden, nutzloses Um-den-Punkt-Gerede und Masturbieren auf die eigene, vorgefertige, niemals in Frage gestellte Meinung.
Der Zuschauer, der Aspekte einschaltet, hatte vor dem Beitrag einen Standpunkt und wusste nach dem Beitrag so viel wie vorher: "Ich mag Bücher, ja-ja, und ich mag Bücherregale aus dunkler Eiche und das Gefühl von Papier und Leder und das Geräusch der Seiten beim Umblättern. Elektronische Bücher sind was für unkultivierte Banausen."
Ein komplettes Magazin, das sich dafür preist, den Zuschauer am Ende ein bisschen schlauer zu machen als er vorher war und sie sind vollkommen blind gegenüber dem großen Versprechen des Kindle, der Grund warum elektronische Bücher die Revolution einer Generation sein könnten: Der Kindle ist nicht nur ein Buch - er ist eine ganze Bibliothek. Eine Bibliothek, die in deine Hosentasche passt, abrufbar jederzeit und von überall.
Das ist genau so seichte Plätscherware zum Einlullen nach der Arbeit und vorm Schlafengehen wie frauensuchende Bauern und superstarsuchende Blödbirnen, nur für ein Publikum, das sich für was besseres hält. Selbst wenn es anders wäre und die Kultursendung etwas wichtiges zu sagen hätte, würde sie ausschließlich eine Minderheit erreichen, weil sie Einbildung zur Eintrittskarte macht und zu sehr damit beschäftigt ist, Seele und Schwanz des Bildungsbürgers zu streicheln, anstatt die Neugier neuer Zuseher zu wecken.
Innerhalb eines Abends also die anschauliche Demonstration der Wurzeln allen Übels, warum Kultur und Quoten nicht zusammenkommen: Thomas Gottschalk hält den durchschnittlichen Zuschauer für blöd - Aspekte glaubt, der durchschnittliche Zuschauer schaut ihnen nicht zu.
Ich würde den Fernsehmachern ein Rezept verschreiben. Wäre vielleicht hübsch, es mal auzuprobieren. Ein neuer Ansatz beim Fernsehmachen: Geht davon aus, dass eure Zuschauer intelligente, erwachsene Menschen sind, deren Zeit kostbar ist.
Falls nötig, tut so als ob. Belügt euch selbst, obwohl ihr es glaubt besser zu wissen. Wartet die Ergebnisse ab. Die meisten Sendungen bekommen die Zuschauer, die sie verdienen. Wer damit zufrieden ist, an den Affen im Menschen zu appellieren, braucht sich nicht wundern, wenn seine Zuschauerschaft aus Schimpansen besteht. Und Fernsehmacher dieser Art verdienen den gleichen Respekt, den wir den Arbeitern entgegenbringen, die im Affenhaus Scheiße kehren, aber bestimmt nicht mehr.
Ganz, ganz bestimmt keine Preisverleihungen.