Ich hatte lange vor, eine Kolumne zu starten. Aus aktuellem Anlass nun das Debüt meiner neuen wöchentlichen Kolumne, die ab sofort regelmäßig jeden 16.3.2009 erscheint
Verbietet die andere Sorte Killerspiele
Wer nach einer schnellen, einfachen Lösung für jugendliche Amokläufer sucht, muss Schützenvereine schließen.
Von Markus Rausch
Der vierfache Mörder von Bad Reichenhall war Sohn eines Sportschützen mit 19 Waffen im Haus. Der Sechzehnjährige, der in Brannenburg seinen Internatsleiter erschoss, besaß keine Videospiele, dafür aber das Großarsenal eines in drei Schützenvereinen eingeschriebenen Vaters. Der Amokschütze von Erfurt trainierte beim Schützenverein Domblick e.V. ganz legal mit der Pump Gun und dem Revolver die später 16 Menschenleben auslöschten. Der Verlierer von Emsdetten hatte einen zweifachen Schützenkönig zum Familienoberhaupt. Die armselige Wurst von Winnenden? Auch er Spross eines Schützenvereinsmitglieds, das die Pistole mit ins Schlafzimmer nahm. Trotzdem bleibt die direkteste Verbindung zwischen allen deutschen Amokläufen, der Schützenverein, für das Auge der Kritik unsichtbar.
Sportschießen ist für 1.5 Millionen Deutsche ein etablierter Freizeitspaß. Wichtiger noch, es ist ein Freizeitspaß, den die Leute, die unsere Gesetze schreiben, verstehen. Leute, die im Leben kein Videospiel angefasst haben. Nur so ist es möglich, in einem Moment vor einer Pauschalverurteilung von Schützenkameraden zu warnen, und im nächsten Gedanken überzeugt zu sein, die Computer-Maus in der Hand sei gefährlicher als das Gewehr im Keller. Menschen, die in einer Schützenvereinkultur aufwuchsen, erkennen sofort den Unsinn darin, aufgrund eines Einzelfalls ein Hobby zu verbieten, das Millionen verantwortungsbewusste, geistig gesunde Menschen in der Mehrheit schadlos ausüben.
Keine gesetzliche Maßnahme kann absolute Sicherheit garantieren. Will man allerdings das nächste Schulmassaker verhindern, ist von allen aus blindem Aktionismus geborenen Vorschlägen eine Maßnahme erfolgsversprechender als alle anderen. Haltet Luftdruckwaffen und Paintall Gewehre frei zugänglich. Obessive Beschäftigung mit diesen Objekten bietet ein klares Warnsignal, das zu Ignorieren ein größeres gemeinsames Wegschauen vom sozialen Umfeld erfordert als eine vollkommen im Stillen schwelende Wut. Freiheiten, die äußere Anzeichen einer drohenden Tat ermutigen, helfen. Andererseits spricht viel für die Idee, jungen Männern jeglichen Zugang zu Schusswaffen zu versperren. Wenigstens solange wie sie in der verwundbarsten Phase ihrer Entwicklung stecken und ein einziger Ort, die Schule, über den Wert eines Mensches entscheidet. Auf jeden Amokschützen kommen viele ähnlich fühlende Sympathisanten mehr. Jugendliche, die niemals den finalen Schritt vollziehen, weil sie nicht weit genug getrieben, weil ihnen die Persönlichkeit eines Mörders fehlt, oder schlicht weil sie im Moment der Ohmacht nicht über den Waffenzugang und das Training verfügen, das so eine Tat erst ermöglicht.
Computerspieler dürfen in der Unantastbarkeit von Schützenvereinen Zuflucht suchen. Die gleiche Immunität liegt in ihrer Zukunft. Entweder früher, weil Amtsträger, die Mordgeräte als Sportgeräte verteidigen, das Recht verlieren, Ballerspiele als Killerspiele zu diffamieren. Oder später, sobald die Generation, die heute schon soviele Online-Spieler stellt wie der Deutsche Schützenbund Mitglieder zählt, ihre Nachfolge antritt. Zeit und Zahlen sind auf Seiten der Zocker. Und ob nun früher oder später, das Fazit wird gleich ausfallen: Ohne die die verstörende Konzentration auf Mädchen beim jüngsten Amoklauf, der Konsum von sogenannten Killerspielen wäre etwas, das Täter und Opfer verbindet, nicht was sie trennt - Depression, Hass, Ausgrenzung.
Ehe wir nicht in der Lage sind, die einzugesetehen, finden wir keine Erlösung von einer Medienlandschaft, die als erste Reaktion auf ein gräuliches Massaker danach ruft, Videospiel unter Strafe zu stellen, und das laut genug, um alternative Erklärungsvorschläge mit besseren Lösungschancen aus der Debatte zu verdrängen, die noch dazu in stundenlangen Sondernsendungen geführt wird, deren Verherrlichung des Mörders einen größeren Beitrag leistet, den nächsten labilen jugendlichen Schützen zu motivieren als sämtliche Dooms, Counterstrikes und Halos der Welt.
Ein kleiner Trost bis dahin: Ein guter Politiker ist leichter zu erkennen als der nächste Amokläufer. Den besonnenen Politiker erkennt ihr daran, dass er sich blindem Aktionismus verweigert. Den aufrechten Politiker erkennt ihr daran, dass sein blinder Aktionismus wenigstens das richtige Ziel trifft. Und den besonnenen und klugen Politiker erkennt ihr daran, dass er die Zensurschere lediglich aus der Schublade holt, um die Doppelzüngigkeit einer Diskussion zu beschneiden, die vorgibt, man könne durch Computerspiele lernen eine Waffe zu bedienen aber Sportschießen hätte niemals erfolgreichen Waffengebrauch mit Punkten belohnt.
Düsseldorf, 12. März 2009. Angaben zur Zahl der Online-Spieler in Deutschland von: http://helliwood.mind.de/vud_home/SID/1b416f3ce0cfff1c061a58661728219b/index.php?id=15. Zur Verbreitung von Computerspielern in der Bevölkerung siehe: http://de.statista.com/statistik/diagramm/studie/30395/filter/30007/fcode/1,2/umfrage/videospiele-computerspiele-spielen-in-der-freizeit.
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