Dienstag, 22. Dezember 2009

Es waren einmal... Meisterliche Anfänge

Der folgende Eintrag verdankt seine Existenz zwei Sachen die ich las und sah, und die eine Parallele aufwarfen, die ich zuvor niemals bedacht hatte.

Es geht um Anfänge und die wichtige Rolle, die sie in zwei Meisterwerken sehr unterschiedlicher Art spielen.


Star Wars: A New Hope eröffnet mit dem Blick auf ein Raumschiff der Rebellen das von einem imperialem Sternenzerstörer verfolgt wird. Die Sicht auf das Rebellenschiff wird vom Sternenzerstörer verdeckt noch ehe es im schwarzen Nichts des Alls verschwinden kann. In einer einzigen Einstellung lernen wir nicht nur, dass die Rebellen auf der Flucht sind und das Imperium der Aggressor ist, dem Zuschauer wird vor allem das Kräfteverhältnis zwischen den Helden und den Bösewichten drastisch vor Augen geführt: Das Rebellenschiff ist winzig - Der imperiale Sternenzerstörer ist riesig. Atemberaubend riesig. Lächerlich riesig. Es vergeht schockierend viel Zeit ehe er sich in ganzer Länge ins Bild geschoben hat und den Zuschauer bei Ansicht seiner Rückseite erleichtert aufatmen lässt. Dass der Sternenzerstörer sich von oben nach unten ins Bild schiebt ist eine bewusste, visuelle Entscheidung der Filmemacher. So drückt sein massiges Gewicht auf den Rebellenkreuzer und den Planeten und die Sterne, die für wenige Augenblicke allein und friedlich im Raum schwebten. Nach 40 Sekunden Film, in denen kein Wort gesprochen wird, wissen wir: Das Imperium ist ein Unterdrücker und sein Arm reicht lang und weit.


Super Mario Bros. etablierte das Genre des Jump'n'Run Spiels. Das grundlegende Konzept besteht darin, dass der Spieler gewinnt, indem er von links nach rechts läuft und über Gegner hinweg springt. Der erste Bildschirm, den der neue Spieler zu Gesicht bekommt, zeigt Mario am linken Rand stehend und eine weite offene blaue Fläche rechts von ihm. Ohne dass dem Spieler eine ausdrückliche Anweisung erteilt werden muss, bewegt er sich nach rechts in die freie Fläche und lernt den ersten Grundbestandteil des Konzepts.

Nach den ersten vorsichtigen Schritten ist der Spieler mit einem neuen Anblick konfrontiert. Einem in der Luft schwebendem Fragezeichenblock und einem fies dreinschauendem Etwas, das sich auf ihn zubewegt. Wenn der Spieler in das fies dreinschauende Etwas rennt, stirbt er und verliert einen Versuch und hat gelernt, dass Wesen, die sich auf ihn zubewegen schlechte Nachrichten sind. Man beachte, dass der erste Gegner, dem der Spieler begegnet sich von rechts nach links bewegt, während Marios Ziel ist, von links nach rechts zu kommen. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Widersacher. Fragezeichenblöcke hingegen sind Verbündete. Sie enthalten für den Spieler nützliche Gegenstände. Das Fragezeichen soll ihn neugierig machen, was sich im Block verbirgt. Wenn das nicht reicht, ist der erste Fragezeichenblock im Spiel so platziert, dass die Chance besteht, dass Mario beim Versuch über den Gegner zu springen, mit dem Kopf an die Unterseite des Blockes stößt und eine Goldmünze erhält. Der Spieler lernt: Wenn ich von unten gegen Blöcke springe passiert etwas. Und wenn der Spieler Glück hat landet er, dadurch dass sein Sprung durch das Stoßen an den Block verkürzt wird, auf dem Kopf des Gegners, der dadurch besiegt wird. Der Spieler lernt: Ich schalte Gegner aus, indem ich auf sie drauf springe. Die Sprungtaste ist Marios Methode mit der Spielwelt zu interagieren.

Das nächste, das den Spieler erwartet, ist eine Reihe von Blöcken. Gegen die Ziegelsteinblöcke zu springen richtet nichts aus. Aber aus einem der vertrauten Fragezeichenblöcke kommt ein Fliegenpilz. Das ist neu. Zuerst bewegt der Pilz sich von links nach rechts, auf der Blockreihe entlang, doch dann fällt er nach unten und läuft gegen die grüne Röhre. Und ändert die Richtung. Plötzlich bewegt er sich auf den Spieler zu (die Richtungsänderung beim Treffen auf Röhren wird später im Spiel von Gegnern und von Schildkrötenpanzer, die Mario als Waffe werfen kann, kopiert), von links nach rechts. Das könnte schlechtes bedeuten. Bisher haben sich nur Feinde auf den Spieler zubewegt. Und Fliegenpilze können bekanntlich giftig sein. Die Macher von Super Mario Bros. waren sich dessen bewusst, deswegen machten sie es dem Spieler extra schwer, dem Pilz auszuweichen. Mario steht unter einer Reihe Blöcken, die ihm die Möglichkeit der Situation durch einen Sprung, mit dem bisher jedes Problem zu lösen war, zu entkommen blockieren. Versucht der Spieler trotzdem zu hüpfen, ist es so angelegt, dass er mit dem Kopf gegen einen Block stößt und mit dem Pilz in Berührung kommt. Dann aber stellt er fest: Der Pilz schadet mir nicht. Er macht Mario größer! Und stärker! Wenn Mario jetzt gegen einen Ziegelsteinblock springt, zerschmettert er ihn. Pilze sind also ziemlich toll und ich sollte sie einsammeln wann immer ich einen sehen. Und der Witz an der Sache: Der erste Fliegenpilz ist der einzige im gesamten Spiel, der sich auf Mario zubewegt, alle weiteren Pilze werden sich vom Spieler wegbewegen, in einem Tempo das ein wenig langsamer ist als die Laufgeschwindigkeit von Mario, und müssen gejagt und eingefangen werden. Der Pilz ist die begehrte Belohnung für das spaßigste und einfachste aller Kinderspiele, das Fangenspielen.

In Super Mario Bros. Echtzeit dauert all dies zwanzig Sekunden. Nach zwanzig Sekunden versteht der Spieler, wie die Welt von Mario funktioniert und was er zu tun hat.

Der Umstand, dass es weder beim Anfang von George Lucas "Star Wars" (1977) noch beim Anfang von Shigeru Miyamotos "Super Mario Bros" (1985) um die Story geht (der Plot der ersten Szene von ANH ist, dass ein Sternenzerstörer auf ein Rebellenschiff feuert), sondern darum die Regeln der Welt zu etablieren, erspart uns die leidige Diskussion ob Videospiele nur Kunst sein können wenn sie eine würdige Geschichte erzählen, und ermöglicht den fairen Vergleich. In beiden Werken sind wir Zeugen von Meistern ihres Fachs. Und in einer Gegenüberstellung wie dieser würde ich die Summe der gewissenhaften Überlegung und Kreativität, die in die ersten zwanzig Spielsekunden von Super Mario Bros. floss jederzeit und ohne Zögern gegen das absolut Beste aus anderen Medien stellen.